«Wir machen Ihnen ein Angebot…

…das Sie nicht ablehnen können!»

(ein persönlicher Kommentar)

So oder so ähnlich lassen sich die Entscheidungen der vergangenen Tage im Schachbund NRW treffend zusammenfassen. 

Die Funktionäre des Bundesspielausschuss haben, wie wahrscheinlich schon bekannt, entgegen aller Widerstände aus den Verbänden mit 5-4 Stimmen beschlossen, die  restlichen zwei Runden der für 15 Monate unterbrochenen Saison 2019/21 in der Oberliga, den beiden NRW-Ligen und den vier NRW-Klassen in den kommenden neun Tagen vor und zu Beginn der Sommerferien verbindlich anzusetzen.

Vier der sechs Schachverbände haben dagegen gestimmt, der SV Ruhrgebiet und der SV OWL – letzterer mit einem extra aus Athen zugeschalteten, stimmberechtigten Vertreter, wie man gerüchteweise hört – stimmten für eine Fortsetzung. Ebenso die drei Spielleiter des SBNRW.

Nach meiner Zählung aus dem Ergebnisportal werden nun von den sechs Schachverbänden und 28 Schachbezirken in NRW genau fünf Organisationen ihre Saison vor oder in den Sommerferien fortsetzen: die Bezirke Essen, Hamm und Herne-Vest aus dem Ruhrgebiet, außerdem der SV Ruhrgebiet. Und jetzt natürlich auch der Schachbund NRW selbst. 

Ein mobiler 67jähriger, zweifach geimpfter Rentner mit viel Zeit und wenigen sonstigen sozialen Bindungen mag sich vielleicht über die unverhoffte Gelegenheit freuen, mit seinen Wattenscheidern in das 10km entfernte Essen zu fahren und endlich wieder Turnierschach spielen zu können. Aber für viele Mitglieder  der betroffenen 70 Teams auf NRW-Ebene bedeutet diese Entscheidung, dass sie nun überlegen müssen,

  • ob sie an einem Werktag oder zu Ferienbeginn eine bis zu siebenstündige An- und Abreise quer durch NRW inklusive Treffen um spätestens 7 Uhr morgens für Ihr Hobby in Kauf nehmen,
  • ob sie für die samstags um 11 Uhr angesetzten Spiele einen Tag Urlaub opfern oder lieber arbeiten gehen,
  • ob sie an einem Schachwettkampf teilnehmen oder lieber zur eigenen Abitur-/Abschlussfeier oder den zahlreichen Abschluss- und Kennenlernpartys der Schulen ihrer Kinder gehen, die aufgrund der jetzt niedrigen Inzidenzen auch sehr kurzfristig in den letzten zehn Tagen vor Ferienbeginn in NRW organisiert werden,
  • ob sie ihren gebuchten Sommerurlaub verschieben und dafür Schach spielen,
  • ob sie einem bis zu 48h alten Schnelltest vertrauen,
  • und ob sie als Un- oder Teilgeimpfte ihre Gesundheit riskieren und sich bis zu sechs Stunden «unmaskiert» ans Brett setzen bzw. den Atem eines unmaskierten Gegenüber ertragen können.

 

Die jeweils 70 Mannschaftskapitäne stehen vor einer ungleich schwereren Aufgabe. Aufgrund der sich in den vergangenen fünf Wochen ständig ändernden Voraussetzungen – Inzidenzen, Ausgangssperren, Reisebeschränkungen,  Coronaverordnungen, nicht vorhandener bzw. mehrfach geänderter Hygienekonzepte – konnten sie bis heute so gut wie nichts buchen, planen oder vorbereiten. Nun müssen sie in den nächsten drei Tagen

  • für die Umsetzung des aktuellen Hygienekonzepts des SBNRW sorgen (Desinfektionsmöglichkeiten, Lüftung, 1,5 m Abstand pro Brett und Schiedsrichtertisch in jede Richtung etc),
  • eine Spielmöglichkeit finden, die nicht nur frei ist, sondern auch den Anforderungen dieses Hygienekonzepts entspricht,
  • am Spieltag entscheiden, ob und wie sie einem Genesenen abnehmen, dass er genesen ist,
  • am Spieltag ebenfalls entscheiden, ob die Teilnehmer valide Testzertifikate vorgelegt haben,
  • als Ausrichter entscheiden, ob ein unter Raucherhusten oder Heuschnupfen leidender Spieler tatsächlich nicht infiziert ist,
  • mit der moralischen Verantwortung leben, dass sich trotz aller Maßnahmen während des Wettkampfs jemand anstecken und schwer erkranken könnte und
  • eine Mannschaft organisieren, die sich in der gemeldeten Form das letzte Mal vor 16 Monaten zusammengefunden hat.

 

All das hat nichts mehr mit meinem eigentlich geliebten Hobby zu tun. Die für das positive Abstimmungsergebnis Verantwortlichen haben entweder überhaupt nicht oder zu kurz gedacht. Oder sie verfolgen mit diesem Beschluss Partikularinteressen, die ich nicht kenne. Ein Spielangebot kann man ohne weitere Konsequenzen ablehnen. Diese Spielansetzungen nicht.

Unabhängig davon: der SBNRW bzw. der verantwortliche Spielleiter Frank Strozewski hat die betroffenen Mannschaften vorher eh nicht gefragt. Im Gegensatz zu z.B. dem Schachverband Münsterland und den Bezirken Steinfurt/Borken, wo die Spielleiter nicht nur Fragenkataloge an die Vereine geschickt, sondern anschließend auch Auswertungen der Umfragen zur Verfügung gestellt haben.

Spieler sind in den vergangenen 15 Monaten verzogen, verstorben, sind nicht oder nur teilgeimpft, scheuen das aktuell immer noch bzw. wieder vorhandene Risiko, siehe auch die Deltavariante und die damit verbundenen Verhältnisse in England, Portugal oder Russland. Oder wollen grundsätzlich nicht mehr spielen. Teams, die weder auf- noch absteigen können, werden im Zweifel absagen und kampflos verlieren.

Es wird aufgrund des – zum Glück – nicht mehr zu bezahlenden Bußgelds einige 0-0 oder 8-0 Ergebnisse geben. In der Oberliga werden Spieler mit einer Wertungszahl von 1700 antreten, in den NRW-Ligen und -Klassen Spieler mit Wertungszahlen von 1500 und niedriger.

Befürworter der Fortsetzung des Spielbetriebs begründen ihre Position auch mit einer Beendigung der Saison nach sportlichen Kriterien. Aber, welchen sportlichen Wert haben denn Mannschaftskämpfe mit «Trümmertruppen», wie ein befreundeter Mannschaftskapitän sein mögliches Team despektierlich nannte? Oder Auf- und Abstiege abhängig von diversen «kampflosen» 8-0 Zufallsergebnissen?

Andere Sportverbände haben dies erkannt und entsprechend gehandelt. Die Fußball- und Hockeyvereine meiner Kinder sind froh, wieder geregelten Trainingsbetrieb anbieten zu können. Über eine Fortsetzung des Spielbetriebs wird in diesen, wesentlich größeren Verbänden frühestens in den Sommerferien für die Zeit danach nachgedacht. Lediglich der Schachbund NRW befürchtet anscheinend, aufgrund eines «fehlenden Angebots» mit einer Millionenklage konfrontiert zu werden.

Ich selbst habe jedenfalls den Antrieb verloren, mich zukünftig für diesen Schachbund bzw. diese Führung in irgendeiner Form offiziell oder inoffiziell, direkt oder indirekt oder auch sportlich zu engagieren. Den Posten des Mannschaftsführers für die Erste von Rochade Emsdetten werde ich zur nächsten Saison abgeben, egal ob wir nun demnächst in der NRW-Liga oder -Klasse antreten. Ebenso fehlt mir aktuell auch komplett die Lust, auf NRW-Ebene überhaupt noch zu spielen.

[Update 21:15 Uhr] Bei der heutigen Infoveranstaltung des NRW-Spielleiters zur Umsetzung des gestrigen Beschluss waren übrigens nicht einmal die Hälfte der Vertreter der 70 betroffenen Mannschaften anwesend. 

PS. Liebe Funktionäre, ihr könnt aufatmen und braucht mich nicht mehr anrufen, das war mein letzter Beitrag zu dem Thema 😉. Tja, war es dann doch nicht.

 

 

 

 

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